Zuckerrübenjournal 2/2014 - page 6

6
|
Zuckerrübenjournal
LZ 20 · 2014
| A K T U E L L E S
P O L I T I K
M A R K T | B E T R I E B S W I R T S C H A F T | A N B A U | T E C H N I K | Z U C K E R |
Helmut Scholz:
Anbauer in Europa schützen
Journal: Was passiert nach Ihrer
Meinung nach dem Wegfall der
Zuckermarktordnung 2017? Wie
wirkt sich der Wegfall auf Landwirte
und Zuckerfabriken aus?
Scholz:
Zunächst halte ich es durch-
aus für möglich, dass das Datum 2017
noch einmal überdacht werden wird,
falls sich im neu gewählten Europa-
parlament entsprechende Mehrhei-
ten finden. Dem Datum ging die opti-
mistische Annahme voraus, dass die
EU-Erzeuger bis 2017 auf dem Welt-
markt konkurrenzfähig sein würden.
Der schmerzhafte Anpassungspro-
zess auf dem Weg dorthin hat bereits
in vielen Mitgliedstaaten zur Aufga-
be der Produktion geführt und viele
Arbeitsplätze gekostet. Schon heute
ist jedoch klar, dass auch 2017 in der
EU nicht zu den Preisen Brasiliens
oder der USA produ-
ziert werden kann.
Es ist zu erwarten,
dass sich Nestlé und
andere große Le-
bensmittelkonzerne, die sich für den
Wegfall des heutigen Systems stark-
machen, sich künftig verstärkt bei
den kostengünstigsten Anbietern ein-
decken würden und auch die heute
noch im europäischen Vergleich kon-
kurrenzfähigen Produzenten in
Deutschland, den Niederlanden oder
in Polen in große Schwierigkeiten ge-
raten würden. Dies umso mehr, sollte
es tatsächlich zum Abschluss eines
Freihandelsabkommens mit den USA
und auch mit dem Mercosur kom-
men, welche beide derzeit von der
EU-Kommission im Auftrag der Re-
gierungen der Mitgliedstaaten ver-
handelt werden.
Journal: Was kann die EU für die
Rübenanbauer tun?
Scholz:
Innerhalb der EU sollten Rü-
benanbauer nicht bessere Konditio-
nen erhalten als die Erzeuger ande-
rer Produkte. Wir können unsere Au-
gen nicht davor verschließen, dass
das derzeitige System auch Schwä-
chen hat und zu einer erheblichen
Konzentration bei den Anbauregio-
nen und insbesondere bei den Zu-
cker-Konzernen geführt hat, die ja
unter anderem in Mauritius auch be-
reits heute international agieren. Ich
bin nicht der Agrarfachmann meiner
Partei, plädiere aber für die Zukunft
für den Ausbau richtiger Ansätze in
der Reform der Gemeinsamen Agrar-
politik hinsichtlich der größeren Rol-
le der Bauern im Erhalt von Kulturre-
gionen.
Journal: Sind die AKP- und
LDC-Staaten Gewinner oder
Verlierer des Wegfalls der Markt-
ordnung, wenn es keine gesicherten
Preise mehr in Europa gibt?
Scholz:
Die Regierungen der AKP-
Staaten, darunter viele LDC, haben
sich vehement gegen den Wegfall ih-
rer gesicherten Quoten gewandt.
Auch in diesen Ländern stellt sich
massiv die Frage der Konkurrenzfä-
higkeit gegenüber Brasilien. Die ge-
steigerte Nachfrage Chinas, die zykli-
schen Spitzen der indischen Nachfra-
ge und die EU-Kofinanzierung von Di-
versifizierungsprogrammen und Aus-
stiegsangeboten
für Kleinbauern
und Beschäftigte
haben die Wucht
der eintretenden
Veränderungen lindern können. Mit
dem Auftreten neuer Akteure aus
Mauritius und Südafrika hat sich die
Lage für die einzelnen Menschen vor
allem in den Ländern entlang der ost-
afrikanischen Küste deutlich ver-
schlechtert. Auch für die AKP-Staaten
kommt das Datum 2017 deutlich zu
früh.
Journal: Wird der europäische
Markt in Zukunft weiter mit
europäischem Zucker versorgt oder
vielleicht doch eher mit Zucker vom
Weltmarkt?
Scholz:
Wenn die Entscheidungen
weiterhin vor allem in Sinne der Zu-
cker verarbeitenden Industrien ge-
troffen werden, gibt es keinen Grund
zu hoffen, dass diese quasi aus Groß-
zügigkeit nach dem Ablauf der laufen-
den Verträge nicht nach günstigeren
Anbietern auf dem Weltmarkt suchen
würden. Aus meiner Sicht sollte die
landwirtschaftliche Produktion von
Nahrung jedoch nicht wie andere
Güter der Liberalisierung unterwor-
fen werden. Es ist für Europa wichtig,
sich in der Nahrungsmittelproduktion
seine Souveränität zu erhalten.
Konflikte dürfen nicht zu Engpässen
führen. Wir sollten unsere Land-
wirtschaft als ein Kulturgut
betrachten und entsprechend schüt-
zen.
Forscher wollen Zucker für die
Isobutenproduktion nutzen
Zucker kann vielleicht schon bald Erdöl als Ausgangsstoff für
die Produktion von Isobuten ersetzen, einer Basissubstanz
der chemischen Industrie, zur Herstellung von Kraftstoffen,
Kraftstoffzusätzen sowie Kunst- und Aromastoffen. Davon
sind Forscher des Fraunhofer-Zentrums für Chemisch-Bio-
technologische Prozesse (CBP) überzeugt. Wie diese Ende
März weiter mitteilten, hat die Firma Global Bioenergies be-
reits einen Mikroorganismus entwickelt, der Zucker zu gas-
förmigem Isobuten umwandelt.
Um diesen Prozess im größeren Maßstab zu nutzen, baue
das CBP ab dem kommenden Herbst in Leuna eine Pilotan-
lage. In dieser komme der Mikroorganismus gemeinsammit
Zucker in einen Fermenter, in dem der Zucker zu gasförmi-
gem Isobuten umgesetzt werde, erläuterten die Forscher.
Das Isobuten werde abgetrennt, aufgereinigt, verflüssigt
und abgefüllt. Sei die Übertragung vom Labor in die Pilotan-
lage geschafft, solle diese bis zu 100 t Isobuten im Jahr pro-
duzieren. Langfristig werde der Zucker für die Fermentation
aus nachwachsenden Rohstoffen stammen, die nicht für die
Lebensmittelherstellung geeignet seien, hob das CBP hervor.
Damit wolle man verhindern, dass wegen der Isobutenpro-
duktion Nahrungsmittel verloren gingen. Die notwendige
Technik für die Zuckergewinnung, zum Beispiel aus Holz, sei
bereits vorhanden.
AgE
Journal: Wird der europäische Markt
in Zukunft weiter mit europäischem
Zucker versorgt oder vielleicht doch
eher mit Zucker vom Weltmarkt?
Reimers:
Die Sicherung der Rohstoff-
versorgung beginnt immer zuerst zu
Hause. Dementsprechend sind die Zu-
ckerverwender nach wie vor gut bera-
ten, ihre Grundversorgung primär
über den europäischen Zucker abzude-
cken, um langfristig ihren Rohstoff zu
sichern. Denn es ist kein Geheimnis,
dass der Anbau von Zuckerrüben eine
wissens- und kostenintensive Produkti-
on ist, die nicht ständig stillgelegt und
wieder angefahren werden kann. Eine
kontinuierliche Basisproduktion ist
wichtig. Erst dann lässt sich durch eine
flexible Zusatzproduktion, die durch
gute Marktentwicklungsbeobachtung
gewinnbringend für die Rüben-
anbauer gestaltet werden kann, auch
ein Stückchen Unabhängigkeit vom
Weltmarkt sichern. Diese Unabhängig-
keit ist durchaus im Interesse der
Zuckerverwender, auch wenn sie für
sich künftig versuchen können, kurz-
fristige Engpässe durch Importe zu
beheben.
Helmut Scholz,
MdEP, Europäi-
sche Linke (EL),
Politikwissen-
schaftler aus
Zeuthen in
Brandenburg
1,2,3,4,5 7,8,9,10,11,12,13,14,15,16,...24
Powered by FlippingBook