Zuckerrüben Journal Nr. 1/2015 - page 3

Journal: Die rheinischen Anbauer
können sich über eine Rekordernte
freuen, wie sieht das Ergebnis denn
deutschlandweit aus?
Dr. Gebhard:
Überall in Deutschland
hat es eine außerordentlich gute Ernte
gegeben. Insgesamt wurden rund
29,5 Mio. t Rüben angeliefert, dies ist
ein Rekordergebnis. Zusätzlich zum
Quotenzucker in Höhe von 2,9 Mio. t
haben die Zuckerfabriken in der abge-
schlossenen Kampagne rund 1,7 Mio. t
Nichtquotenzucker erzeugt. Im Vorjahr
belief sich die Nichtquotenzuckermen-
ge dagegen nur auf rund 500 000 t. Das
Ernteergebnis ist herausragend und
erfreulich. Leider sind die Exportmen-
gen gedeckelt. Auch die Absatzmög-
lichkeiten außerhalb des Lebensmit-
telsektors sind begrenzt.
Journal: Die Freude über die Spitzen-
ernte wird durch den niedrigen Zu-
ckerpreis getrübt. Welche Konsequen-
zen hat das für den Markt, aber auch
für die Anbauer? Wie wird sich der
Zuckerpreis weiter entwickeln?
Dr. Gebhard:
Der Preisverfall, unter
dem der Sektor derzeit leidet, ist dra-
matisch. Von April 2013 bis November
2014 ist der Preis von 730 €/t Zucker
auf 449 €/t gefallen. Erheblich dazu
beigetragen haben die Maßnahmen
der Kommission. Da ihr das höhere
Preisniveau der letzten Jahre ein Dorn
im Auge war, hat sie den Markt durch
zusätzliche Importe sowie die Um-
wandlung von Nichtquoten- in Quo-
tenzucker mit zusätzlichen Mengen
versorgt. Diese drücken in Verbindung
mit steigenden Einfuhren aus den Ent-
wicklungsländern auf die Preise. Hin-
zu kommen Einfuhren im Rahmen von
neuen Freihandelsabkommen. Von
dieser Entwicklung profitiert hat allein
die Verarbeitungsindustrie, ohne dass
ihre Produkte für die Verbraucher
auch nur einen Cent billiger geworden
wären. Für die Rübenerzeuger bedeu-
tet dies, dass die Anbaufläche in die-
sem Jahr deutlich eingeschränkt wer-
den muss. Eine Rolle für die weitere
Entwicklung spielt auch der Welt-
markt. Für 2015 wird erstmals nach
mehreren Jahren wieder damit ge-
rechnet, dass die weltweite Nachfrage
die Erzeugung übersteigt.
Journal: Was kann denn jetzt getan
werden, um den Markt zu entlasten?
Dr. Gebhard:
Am schnellsten würde es
helfen, wenn die Kommission im Vor-
griff auf das WTO-Kontingent des Zu-
ckerwirtschaftsjahres 2015/16 weitere
Ausfuhrmengen freigeben würde. So
hat sie schon einmal 2010 gehandelt.
Außerdem sollte die Kommission die
Ausfuhrbeschränkungen im Rahmen
der WTO grundsätzlich überprüfen,
denn die Situation ist nicht mehr mit
der vor dem Schiedsspruch von 2004
vergleichbar. Und schließlich muss
Brüssel endlich aufhören, mit weiteren
bilateralen Freihandelsabkommen im-
LZ 10 · 2015
Zuckerrübenjournal
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mer mehr zollfreien Zucker in die EU
strömen zu lassen. Wenn die Politik
nicht endlich handelt und die einseitige
Parteinahme für die Zuckerverarbeiter
beendet, gefährdet sie den Fortbestand
der heimischen Zuckererzeugung.
Journal: Zehn von 19 europäischen
Ländern, in denen Zuckerrüben ange-
baut werden, wollen 2015 gekoppelte
Zahlungen an ihre Rübenanbauer
auszahlen, um sie zu unterstützen?
Was halten Sie davon? Und können
die deutschen Anbauer vielleicht auch
auf Zahlungen hoffen?
Dr. Gebhard:
Durch die Einführung
von gekoppelten Zahlungen im Rah-
men der GAP-Reform soll die Zucker-
erzeugung in diesen Ländern am Le-
ben erhalten werden. Auf diese Weise
wird der Wettbewerb verzerrt und die
Zuckermarktreform von 2006 konter-
kariert. Dies widerspricht dem Ziel der
vor zwei Jahren beschlossenen Agrar-
reform. Deutschland hat sich grund-
sätzlich gegen jegliche Koppelung der
Beihilfen ausgesprochen und wird die-
sen Weg sicherlich nicht verlassen.
Statt den notwendigen Strukturwan-
del durch gekoppelte Zahlungen zu
unterbinden, sollte er durch einen effi-
zienten Restrukturierungsfonds beglei-
tet und auf diese Weise sozial und öko-
logisch flankiert werden. Je früher die
Notwendigkeit hierfür erkannt wird,
desto rascher und einfacher wird sich
die Restrukturierung vollziehen. Eine
Benachteiligung der wettbewerbsfä-
higsten Zuckererzeugungsländer in
Europa, zu denen neben Frankreich
auch Deutschland gehört, kann nicht
das Ziel einer europäischen Zucker-
marktpolitik sein.
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Wettbewerbsfähige
Länder im Nachteil
Rekordernte, Tiefstpreise bei Zucker auf demWeltmarkt und EU-Länder, die planen,
ihre Rübenanbauer mit gekoppelten Zahlungen zu unterstützen – das sind die The-
men, welche die Zuckerwelt gerade beschäftigen. Ein Gespräch mit Dr. Hans-Jörg
Gebhard, Vorsitzender der Wirtschaftlichen Vereinigung Zucker (WVZ).
Dr. Hans-Jörg
Gebhard
Foto: Twan Wiermanns
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