12.03.2021

Kommentar Gartenbau-Profi Nr. 03/2021 - Ein Spagat

Auch wenn die Sonderkulturbetriebe, nachdem das lang umstrittene Insektenschutzpaket vom Bundestag am 10. Februar 2021 auf den Weg gebracht wurde, zunächst einmal ein wenig aufatmen können, steht die gesamte Agrarbranche vor sehr herausfordernden Aufgaben. Dahinter verbirgt sich sicherlich nicht nur die Bewältigung der Corona-Pandemie, die für die Sonderkulturbetriebe - neben erheblichem Mehraufwand und deutlichen Einschnitten - bis hin zur vorübergehenden Schließung von Verkaufsstätten – auch mental eine außerordentliche Belastung bedeutet.

Doch noch ist Corona nicht vorüber und vor uns steht vermutlich eine ebenso turbulente Saison wie die zurückliegende. Corona hat den Lebensalltag und das Bewusstsein vieler Menschen verändert. Ob - und falls ja, wie lange dies anhält – bleibt abzuwarten. Neben harten Fakten wie dem Geschehen auf den Märkten oder den fortschreitenden Klimaveränderungen muss unsere Branche mit einer nicht enden wollenden Welle an neuen Einschnitten und Auflagen ebenso klar kommen wie mit dem nach außen getragenen Willen der Gesellschaft nach mehr Ökologisierung und Nachhaltigkeit.

Dabei sind diese Begriffe weit dehnbar und der klare Sachverstand zieht vor der oftmals emotional geprägten Äußerung der  Meinungsbildner immer wieder den Kürzeren. Mit dieser Situation klar zu kommen und daraus ein Konzept für die weitere Entwicklung des eigenen Unternehmens zu schmieden, ist eine überaus fordernde Aufgabe, zumal ständig neue Anpassungen an die aktuelle Situation erforderlich sind, da die Vorzeichen sich in wichtigen Punkten verändern. Dabei steht völlig außer Frage, dass Veränderungen eine Grundlage unternehmerischen Handels sind, nur das Tempo und die Häufigkeit, mit der auf diese durch entsprechende Anpassungen reagiert werden muss, überfordert eine Branche, deren Infrastruktur auf langfriste Nutzung ausgerichtet ist.

Reglementierungen und Vorgaben nehmen stetig zu – ihre Umsetzung, in der Praxis schon oftmals kaum machbar, lässt den Verwaltungsaufwand weiter steigen. Die Düngeverordnung, die (mangelnde) Verfügbarkeit von Pflanzenschutzmitteln, steigende Mindestlöhne, Bauvorgaben, Arbeitsschutz, Corona-Hygienevorschriften, Unterbringung von Saisonmitarbeitern oder die auf den Weg gebrachte Novelle des Verpackungsgesetzes sind nur einige Beispiele. Dabei sind der Anbau, die Anforderungen der Handelspartner und Kunden oder der Wettbewerb auf dem Markt mit Anbietern, die ihre Erzeugnisse möglicherweise unter anderen Voraussetzungen produzieren, noch nicht einmal thematisiert.

Die letzten Monate haben gezeigt, dass zumindest in Teilen der Gesellschaft die Leistungen unserer Branche mehr Anerkennung finden. Die Proteste auf der Straße und der Einsatz der berufsständischen Verbände haben Wirkung gezeigt und vielleicht haben die berechtigten Forderungen auch durch die Corona-Pandemie Auftrieb erhalten. Dennoch bleibt die Kluft zwischen denjenigen, die das bisherige System der Agrar- und Gartenbaubranche stufenweise weiterentwickeln wollen, und denjenigen, die einen radikalen Umbau der Landwirtschaft fordern (aber nicht sagen, woher die Produkte dann kommen sollen) groß und die Gräben scheinen manchmal unüberwindbar. Etwas überzogen formuliert, könnte man manchmal den Eindruck gewinnen, als hätten wir 400 000 Landwirte und Gärtner in Deutschland, aber 80 Mio. Landwirtschaftsexperten.

Dieser Konflikt wird unsere Branche in Zukunft ebenso befassen wie die Suche nach Lösungen zu den Fragen des Klimawandels, wie die auch in unserem Bereich voranschreitende Digitalisierung oder der Zwang zur Rationalisierung, zu umweltschonenderen Anbauverfahren und zur Schonung von Ressourcen.

Wer die Forderung nach einem generellen Umbau des Agrarsektors stellt, muss auf der anderen Seite aber auch bereit sein, dafür zu zahlen. Und genau an dieser Frage und der Bereitschaft, für die eigenen Forderungen durch ein Bekenntnis an der Ladenkasse oder einen öffentlichen Ausgleich einzustehen, scheitert bislang immer wieder die Umsetzung.  Wenn die Gesellschaft mehr Regionalität, Bioanbau, Nachhaltigkeit, Insektenschutz und Biodiversität wünscht, kann und wird unsere Branche diesen Wunsch umsetzen – dies aber nur unter der Voraussetzung einer entsprechenden Honorierung und sicher nicht im Alleingang, denn das würde nicht nur den Mitbewerbern Tür und Tor öffnen, sondern die beabsichtigten Ziele völlig konterkarieren.

Ein führender Discounter musste gerade erleben, wie seine Kunden auf eine vorsichtige Anhebung der Fleischpreise reagieren. Er wollte den Landwirten beim Aufwand für die Umsetzung von Maßnahmen zum Tierwohl entgegenkommen – andere Handelsketten haben nicht mitgezogen und viele der Kunden leider auch nicht. Doch von reinen Lippenbekenntnissen kann niemand leben.

DLG-Präsident Hubertus Paetow hat auf der DLG-Wintertagung den Unternehmer-Typ „Zukunftslandwirt“ vorgestellt und den Umbau zu einer nachhaltigen, ökologisch und ökonomisch tragfähigen und gesellschaftlich akzeptierten Landwirtschaft (Artikel ab. S. 68) angeregt. Das Ziel ist wahrscheinlich unstrittig, der Weg dorthin dürfte aber noch ein recht steiniger sein.

 

„Der Umbau zu einer nachhaltigen, ökologisch und ökonomisch tragfähigen Landwirtschaft ist ohne Honorierung der Leistungen nicht möglich.“